Dienstag, 30. Oktober 2012

Die EZB und die Frauen...


In Brüssel scheint der Vorstoß Viviane Redings (vorerst?) gescheitert. In seltener Einmütigkeit beharren Gegner einer gesetzlich festgelegten Frauenquote auf nationaler Souveränität. Schließlich soll die Entscheidungsfreiheit von Unternehmen nicht beschränkt werden – wenigstens nicht bei diesem Thema. Sogar Außenminister Guido Westerwelle wirft sich schützend vor den Mittelstand, der aber gar nicht gemeint ist, da gerade hier in Deutschland ohnehin jede fünfte Führungsposition mit einer Frau besetzt wird. 

Wo aber verläuft die Grenze zwischen nationaler Souveränität und Brüsseler Eingriffsrechten? In Zeiten der Euro-Krisen und (erhofften) -Rettung, der raschen Beschlüsse über Milliardenbeträge, mit weitreichenden Konsequenzen für den steuerzahlenden Bürger, mutet es seltsam an, wenn ein so offensichtliches und lang tradiertes Missverhältnis der Geschlechter an der Führungsspitze nicht in die Zuständigkeit von Brüssel fallen sollte.

Ganz seltsame Blüten treibt diese Debatte nun in der EZB, die – wenn es Brüssel nicht tut – Staaten vor der Pleite retten soll. Ganz unverhofft entdecken die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg ihr Herz für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Direktorium der Europäischen Zentralbank. 

So scheint es! Mit der „Erkenntnis“, dass nun doch die Zeit für eine Frau im z. Z. durchweg männlich besetzten Führungsgremium gekommen sei, musste der EZB-Kandidat Yves Mersch eine Niederlage bei der Abstimmung über seine Nominierung in das Direktorium hinnehmen. Luxemburgs amtierender Notenbankchef gilt als kompetent und fachlich über alle Zweifel erhaben, aber den Nehmerländern als unbequem. 

Pikanterweise wäre Mersch damit einer der ersten Männer, dem ein Amt an der Spitze aufgrund seines Geschlechts versagt werden könnte. (Vielen kompetenten und qualifizierten Frauen dürfte die Situation umgekehrt durchaus bekannt vorkommen.)

Aber wie so oft bei politischen Entscheidungen überlagern sich verschiedenste Interessen und gehen eine seltsame Melange ein. Quotenbefürworter im linken Lager stimmten gegen den Kandidaten, mit dem berechtigten Argument, dass es 2012 nur ein Anachronismus sein kann, wenn im Vorstand der Europäischen Zentralbank nicht eine einzige Frau sitzt und dass das bis 2018 so bleibt. Bis zum nächsten anstehenden Wechsel wären die Männer im mächtigen Direktorium wieder unter sich. 

Andere Abgeordnete surften dagegen ganz bequem auf der Quotenwelle mit, um den Kandidaten – wohl eher ein Unterstützer von Draghis strengen Bedingungen – aus dem Entscheidungsgremium herauszuhalten. Spaniens Konservative versagten z.B. die nötigen Stimmen. Honi soit qui mal y pense.

Wenn's nicht so traurig wäre, könnte frau lachen. Die Quote ist nicht einmal beschlossen oder gar umgesetzt und schon als Politikum dem Missbrauch preisgegeben. So nicht!

Erste Frage: Hätte dieser Schildbürgerstreich in dieser Form gelingen können, wenn das sechsköpfige Direktorium der Europäischen Zentralbank zu 30 oder gar 40 Prozent aus weiblichen Mitgliedern bestünde? Also mindestens zwei Frauen dabei wären. 

Es gäbe sie, wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung herausgefunden hat – vier sogar: Lucrezia Reichlin, Beatrice Weder di Mauro, Hélène Rey und Anne Sibert.

Zweite Frage: Wie würde Europas Finanz- und Wirtschaftspolitik überhaupt heute aussehen, wenn die Entscheidungsebene von Unternehmen, Behörden, Institutionen und Ministerien zu mindestens einem Drittel durch Frauen ausgefüllt wäre?

Keine weitere Fragen – Schluss mit dem Konjunktiv.

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Warum Yves Mersch scheitern musste
Der Luxemburger Yves Mersch galt als idealer EZB-Direktor – bis er in die Mühlen der Frauenquote geriet. Doch tatsächlich geht es nicht nur ums Geschlecht, sondern auch um geldpolitische Prinzipien. Von Stefanie Bolzen und Sebastian Jost

Besetzung des EZB-Direktoriums
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Von LISA NIENHAUS

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