In
Brüssel scheint der Vorstoß Viviane Redings (vorerst?) gescheitert. In seltener
Einmütigkeit beharren Gegner einer gesetzlich festgelegten Frauenquote auf nationaler
Souveränität. Schließlich soll die Entscheidungsfreiheit
von Unternehmen nicht beschränkt werden – wenigstens nicht bei diesem Thema. Sogar Außenminister Guido Westerwelle wirft sich schützend vor den Mittelstand,
der aber gar nicht gemeint ist, da gerade hier in Deutschland ohnehin jede fünfte
Führungsposition mit einer Frau besetzt wird.
Wo aber verläuft die Grenze
zwischen nationaler Souveränität und Brüsseler Eingriffsrechten? In Zeiten der
Euro-Krisen und (erhofften) -Rettung, der raschen Beschlüsse über
Milliardenbeträge, mit weitreichenden Konsequenzen für den steuerzahlenden
Bürger, mutet es seltsam an, wenn ein so offensichtliches und lang tradiertes
Missverhältnis der Geschlechter an der Führungsspitze nicht in die
Zuständigkeit von Brüssel fallen sollte.
Ganz
seltsame Blüten treibt diese Debatte nun in der EZB, die – wenn es Brüssel
nicht tut – Staaten vor der Pleite retten soll. Ganz unverhofft entdecken die
Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg ihr Herz für ein
ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Direktorium der Europäischen
Zentralbank.
So scheint es! Mit der „Erkenntnis“, dass nun doch die Zeit für
eine Frau im z. Z. durchweg männlich besetzten Führungsgremium gekommen sei,
musste der EZB-Kandidat Yves Mersch eine Niederlage bei der Abstimmung über
seine Nominierung in das Direktorium hinnehmen. Luxemburgs amtierender
Notenbankchef gilt als kompetent und fachlich über alle Zweifel erhaben, aber
den Nehmerländern als unbequem.
Pikanterweise wäre Mersch damit einer der
ersten Männer, dem ein Amt an der Spitze aufgrund seines Geschlechts versagt
werden könnte. (Vielen kompetenten und qualifizierten Frauen dürfte die
Situation umgekehrt durchaus bekannt vorkommen.)
Aber
wie so oft bei politischen Entscheidungen überlagern sich verschiedenste
Interessen und gehen eine seltsame Melange ein. Quotenbefürworter im linken
Lager stimmten gegen den Kandidaten, mit dem berechtigten Argument, dass es
2012 nur ein Anachronismus sein kann, wenn im Vorstand der Europäischen
Zentralbank nicht eine einzige Frau sitzt und dass das bis 2018 so bleibt. Bis
zum nächsten anstehenden Wechsel wären die Männer im mächtigen Direktorium
wieder unter sich.
Andere Abgeordnete surften dagegen ganz bequem auf der
Quotenwelle mit, um den Kandidaten – wohl eher ein Unterstützer von Draghis strengen
Bedingungen – aus dem Entscheidungsgremium herauszuhalten. Spaniens
Konservative versagten z.B. die nötigen Stimmen. Honi soit qui mal y pense.
Wenn's
nicht so traurig wäre, könnte frau lachen. Die Quote ist nicht einmal
beschlossen oder gar umgesetzt und schon als Politikum dem Missbrauch
preisgegeben. So nicht!
Erste
Frage: Hätte dieser Schildbürgerstreich in dieser Form gelingen können, wenn
das sechsköpfige Direktorium der Europäischen Zentralbank zu 30 oder gar 40
Prozent aus weiblichen Mitgliedern bestünde? Also mindestens zwei Frauen dabei
wären.
Es gäbe sie, wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
herausgefunden hat – vier sogar: Lucrezia Reichlin, Beatrice Weder di Mauro, Hélène
Rey und Anne Sibert.
Zweite
Frage: Wie würde Europas Finanz- und Wirtschaftspolitik überhaupt heute
aussehen, wenn die Entscheidungsebene von Unternehmen, Behörden, Institutionen
und Ministerien zu mindestens einem Drittel durch Frauen ausgefüllt wäre?
Keine
weitere Fragen – Schluss mit dem Konjunktiv.
Neuer EZB-Direktor
Warum Yves Mersch scheitern musste
Der Luxemburger Yves Mersch
galt als idealer EZB-Direktor – bis er in die Mühlen der Frauenquote geriet.
Doch tatsächlich geht es nicht nur ums Geschlecht, sondern auch um
geldpolitische Prinzipien. Von Stefanie Bolzen und Sebastian Jost
Besetzung des
EZB-Direktoriums
Vier Frauen für die EZB
Männer regieren die
Zentralbank. Das wäre nicht nötig: Lucrezia Reichlin, Beatrice Weder di Mauro,
Hélène Rey und Anne Sibert wären nur einige Kandidatinnen für einen Posten im
EZB-Direktorium.
Von LISA NIENHAUS
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