Eigentlich haben wir sie ja schon, die Quote. Kaum werden die Folterwerkzeuge gezeigt, schon bewegt sich etwas. Das Nein der Kanzlerin zu einer gesetzlichen Umsetzung, sollte in den Chefetagen also nicht als Freibrief zum Nichtstun missverstanden werden. Als "Skandal" bezeichnet Angela Merkel die Lage und beginnt Druck auszuüben; will sich sogar persönlich mit den Konzernführern treffen. Die Erfahrung zeigt, dass die Kanzlerin eher zum Handeln neigt als zu langen Reden. Manchmal wird ihr das sogar als Führungsschwäche ausgelegt.
Auch wer möglicherweise bei Kristina Schröder (CDU) eine nachgiebige Haltung Wirtschaftsbossen gegenüber vermutet hat, wird nun eines Besseren belehrt. In der Sendung bei Maybrit Illner wird das eigentliche Problem beim Namen genannt. Abgesehen von familienfreundlicheren und flexibleren Arbeitszeiten, kommt Mann an einem Wandel der Unternehmenskultur nicht vorbei. Denn die meisten Frauen können sich 70-80 Stundenwochen familienbedingt nicht leisten und wollen sie sich auf Kosten ihrer Familie auch gar nicht leisten. "Präsenzrituale, Hackordnung" und "Machtgerangel" sind für sie uninteressant und können auch durch ein hohes Gehalt, einen Dienstwagen und andere Statussymbole nicht aufgewogen werden. Offensichtlich messen Frauen diesen Prestigegütern nicht den gleichen Wert zu wie Männer.
Im Interview wird die Bundesfamilienministerin deutlicher und schließt das Eingreifen des Gesetzgebers nicht aus, wenn der Prozess ins Stocken gerät. Kanzlerin, Bundesfamilienministerin und Arbeitsministerin sind sich in der Sache einig, wenn auch nicht in der praktischen Gestaltung.
Die Quote, setzt einen längst anstehenden Bewusstseinswandel in Gang. Das Selbstverständnis verinnerlichter, traditioneller Rollenmodelle – aller Emanzipation zum Trotz – wird geschleift. Die Bundesfamilienministerin bekommt das dieser Tage wohl persönlich besonders zu spüren, da die Republik immer noch über eine schwangere Ministerin staunt. Gleichgültig welchen Lebensentwurf frau heute lebt, er ist immer mit dem Makel des Unvollkommenen behaftet. Nur Mutter? Genügt nicht. Nur Berufstätige oder gar Karrierefrau? Egoismus. Berufstätige Mutter? Rabenmutter und nachlässig im Job.
Glücklicherweise wollen inzwischen viele Männer auch Väter sein und manchmal sind auch Unternehmer Väter und dann bereit und in der Lage, Strukturen zu schaffen, die Familie nicht zum Betriebsunfall werden lassen, sondern als Teil des Lebens in den Arbeitsalltag integrieren. Die Berliner Agentur dan pearlman ist 2010 mit dem Berliner Landespreis "Unternehmen für Familie" für seine Kreativität gekürt worden. Statt 80 oder mehr Wochenstunden zu arbeiten, gibt es nun eine firmeneigene Kindertagesstätte und die Möglichkeit, die lieben Kleinen mit ins Büro zu bringen, wenn die externe Betreuung ausfällt. Ist der Nachwuchs krank, bilden Home-office-Tage eine Alternative zur Krankschreibung. Es geht also. http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article12485416/Ihr-Kinderlein-kommet.html
Rainer Brüderle (FDP) – ebenfalls ein Gegner einer gesetzlichen Quotierung – orientiert sich an der Philosophie der Telekom und sieht in Familienfreundlichkeit und Frauenförderung einen Wettbewerbsvorteil. Der Wirtschaftsminister befürwortet sogar ein Gütesiegel für Unternehmen, die hier aktiv werden. Vielleicht vergleichbar zu einer ISO-Zertifizierung. Hier sollten allerdings die Personalbteilungen tätig werden und nicht Marketing. Es geht um Inhalte und eine feierlich unterzeichnete Charta könnte sich rasch als Kommunikationsgag entpuppen.
Das alles wird sich ohne Werte- sprich Bewusstseinswandel kaum nachhaltig verwirklichen lassen, jedenfalls nicht so schnell. Denn solange Platzhirscherei noch mit Qualifikation verwechselt wird, haben es Frauen schwer, manchmal sehr schwer an die Spitze zu gelangen. Bislang scheint die Quote, und sei es als Drohkulisse, erfolgreich zu sein. "Ich hasse jede Art von Quote", bekennt Professor Dr. Cornelia Niederdrenk-Felgner. "Aber ohne Quote werden wir noch 300 Jahre warten müssen, bevor es eine Gleichstellung in Führungspositionen zwischen Männern und Frauen gibt." http://www.swp.de/geislingen/lokales/geislingen/art5573,833447
Mit dem klassischen "Präsenzritual" hat der "ehemalige Politikberater" Michael Spreng bei Anne Will am Sonntagabend versucht, die Auseinandersetzung zwischen Ursula von der Leyen (CDU) und der Sozialdemokratin Manuela Schwesig in Sachen Hartz-IV auf weibliche Inkompetenz zu reduzieren und bedauert, dass nun die MinisterpräsidentEN gefragt seien. Beiden Politikerinnen wirft er vor, der "Sache der Frauen" in der Politik zu schaden. Es blieb leider nicht bei einem Versuch des Machtspielchens Frauen-können's-halt-nicht, der immer wieder an einer sehr präsenten, argumentativ gut vorbereiteten Arbeitsministerin abprallte. Wahrscheinlich durch Erfahrung klug ließ sie sich erst gar nicht darauf ein, sondern strebte immer wieder die Sachebene an; vor allem aber ließ sie sich nicht unterbrechen. Eine Strategie, die Frauen, unter Führungsmännern stets empfohlen wird. Gegenfrage: würden denn die Ministerpräsidenten nicht eingreifen, wenn bei der derzeitigen Stagnation die VerhandlungspartnerINnen, -partnER wären? Das krampfhafte Bemühen, die Auseinandersetzung zwischen den beiden Politikerinnen ausschließlich zu einem Machtkampf zu erklären, zeigt wie tief männlich dominierte Denkschemata greifen und wie sehr die öffentliche Kommunikation dadurch bestimmt wird. Natürlich spielt Macht eine Rolle und die Möglichkeit, die eigene Partei gut zu positionieren. Auffallend bleibt aber, dass selten in einer solchen Talkrunde soviel über Inhalte zu erfahren war; so dass Anne Will eingreifen musste, um von den komplexen Zusammenhängen der Hartz-IV-Regelsätze doch wieder auf den talkshowgemäßen emotionalen Faktor zuzusteuern.
Noch 300 Jahre, bis wir zur einer gleichberechtigten Wahrnehmung von Frauen und Männern kommen? Warum sollen Frauen nicht um Meinungen und Ansichten ringen? Von der Leyen und Schwesig haben sich nichts geschenkt; in der Sache nicht und auch sonst nicht. Schön wäre es allerdings, wenn Politikerinnen jeder Couleur allmählich auf populistische Statements verzichteten. Hier wäre für einen Kulturwandel und für die Wahrnehmung von Politik in der Öffentlichkeit viel gewonnen.
Aber es ist alles nicht so einfach mit dem Bewusstseinswandel.
Die Schweiz, darf sich in diesen Tagen über 40 Jahre Frauenwahlrecht freuen. Nicht jede Frau war von ihrem Recht begeistert, per Wahlschein die Politik des Landes mitzubestimmen; manche empfanden es eher als Last. Diesen Frauen hätte Bascha Mika wahrscheinlich "Feigheit" vorgeworfen. Inzwischen aber wird auch in der Schweiz über eine Quote nachgedacht, denn auch hier sind die Zustände in den Führungsetagen "skandalös". Eine schwangere Ministerin ist sowieso undenkbar.
ItalienerINen haben zwar das Wahlrecht, fühlen sich aber durch ihren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zu Sexobjekten degradiert. Für mehr Respekt und für ein dringend zu veränderndes Frauenbild gingen die italienischen Frauen am heutigen Sonntag auf die Straße.
In jedem Fall gilt es zu einem Selbstbild zu gelangen, dass den Namen auch verdient: Selbst-Bild und nicht als Projektionsfläche für was auch immer zu dienen.
"Zwei Quotenfrauen streiten über die Quote" so der irreführende Titel in der FAZ. Tatsächlich sind sie sich einig, dass eine Quote erforderlich ist – auch eine ungeliebte – um überhaupt den notwendigen Prozess in Gang zu setzen. Tatsächlich geht die Auseinandersetzung um das Selbstverständnis von Frauen und liebgewordenen Gewohnheiten.
In welcher Partei hat es frau nun leichter nach oben zu kommen? In der quotenorientierten SPD, die einen Kanzler gestellt hat, der die Belange von Frauen zu "Gedöns" erklärt oder in der CDU, die von Quoten nichts wissen will, dafür aber die erste KanzlerIN stellt.
Unter dem Motto "Heute ist ein guter Tag" lässt sich auf der Webseite von Bündnis 90/Die Grünen Einblick in verschiedene Schicksale nehmen, die ohne ein gesundes weibliches Selbstvertrauen von Mutter oder Großmutter oder auch dem eigenen gar nicht möglich gewesen wären. Zum Teil heiter und zum Teil berührend. Wenn jetzt noch die grünen Männer ihren Beitrag dort einstellen würden.... www.gruene-bundestag.de/frauentag
Weitere Links:
In Wien werden Frauen am Frauentag für gleichen Lohn für gleiche Arbeit auf die Straße gehen.
In Ägypten demonstrieren Frauen, fühlen sich respektiert und hoffen sehr, dass es so bleibt.
Unternehmerinnen, also Frauen, die es mittels Qualifikation und nicht per Quote dort angekommen sind, wo sie sind, befürworten die Quote als notwendige Starthilfe.
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